Bernd Marcel Gonner –
Sediment und Sedum
Ein Essay

19,00 

Bernd Marcel Gonner
Sediment und Sedum – Ein Essay
Limitierte Auflage: 500 Exemplare
ISBN 978-3-931140-70-0

KILLROY media, 2021
Nature Writing
ca. 80 Seiten
Klappenbroschur, englische Broschur

Zusätzliche Informationen

Gewicht 0,118 kg
Größe 20,0 × 12,1 × 0,85 cm

Zum Inhalt

Sediment und Sedum

„Bernd Marcel Gonners Essay „Sediment und Sedum“ vergegenwärtigt in einer ungewöhnlichen, streckenweise kunstvoll experimentellen Montageform elementare Naturerfahrungen: Das Grundgerüst bildet ein episodenartiger Bericht von der sehr bewusst gewählten bäuerlichen und landschaftspflegerischen Arbeit in einer historisch gewachsenen Kulturlandschaft, dem Steppenheiden Gebiet der Kalksteinhänge des Oberen Taubertals. Eingeschnitten in die erzählerischen Episoden sind Zitate aus ortsbezogenen geologischen, botanischen, landeskundlichen und lokalhistorischen Sachbüchern, aber auch Pflanzenlisten, literarische Einsprengsel, einzelne Wahrnehmungssplitter. So entsteht ein dichtes Gewebe verschiedener Textelemente, das nicht nur die Landschaft, die Bodenbeschaffenheit, die Vegetation, das Tierleben mit großer Intensität vorstellt, sondern die physische wie die mentale ›Einarbeitung‹ in das Gelände nachvollziehbar werden lässt. Gonner gelingt das in der deutschsprachigen Literatur seltene Kunststück, das Erleben unmittelbar körperlicher ›Arbeit an der Natur‹ durch avancierte literarästhetische Mittel sowohl sinnlich fassbar zu machen als auch diese Arbeit in große historische, naturkundliche und kulturelle Kontexte zu stellen“, so die Jury, die sich aus der letztjährigen Preisträgerin Esther Kinsky, des Literaturwissenschaftlers und Autors Ludwig Fischer, der leitenden Programmkuratorin der Stiftung Kunst und Natur Annette Kinitz, der Literaturvermittlerin Brigitte Labs-Ehlert, des Präsidenten des Umweltbundesamtes Dirk Messner sowie des Literatur- und Kulturwissenschaftlers Steffen Richter zusammensetzte.

Über den Autor

Bernd Marcel Gonner

  • • Geboren 1966
  • • Luxemburger von Vaterseite, Böhme von Mutterseite
  • • Alma mater: Uni Bamberg
  • • Er arbeitet als freier Schriftsteller (Lyrik, Prosa, Theater, Kinderliteratur)
  • • Landschaftspfleger auf eigenem kleinem Hof sowie freiberuflich als DaFler
  • • Vielfältige Zusammenarbeit mit den Komponisten Bernhard Ruchti und Michael Maria Ziffels
  • • Für seine Arbeiten wurde er bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet:
  • – 2017 mit dem 2. Preis des Lyrikpreises Feldkirch (ex aequo mit Johannes Tröndle)
  • – 2. Preis des Concours littéraire national (Luxembourg)
  • – Hörspielpreis des staatlichen sozio-kulturellen Radiosenders 100,7 des Großherzogtums Luxemburg
  • – 2019 mit dem 2. Preis des 6. Bonner Literaturpreises der Autorengruppe Dichtungsring
  • – 2020 mit dem Gustav-Regler-Förderpreis des Saarländischen Rundfunks
  • – Zuletzt erhielt er den Deutschen Preis für Nature Writing 2021, vergeben durch den Verlag Matthes & Seitz, Berlin in Kooperation mit dem Umweltbundesamt sowie der Stiftung Kunst und Natur

Pressemitteilungen

Buchreport

Verlag Matthes Seitz Berlin

Umweltbundesamt

Stiftung Kunst und Natur

RTL

Leseprobe

Sediment und Sedum

Rezensionen

»Ich lese und erzähle das Gelände«

Literatur: Gebürtiger Laudaer Bernd Marcel Gonner erhält Deutschen Preis für Nature Writing – Lange einen guten Schreibort gesucht

Text unter Foto: So lebt also ein Autor, der sich dem »Nature Writing« (siehe Hintergrund) im wahrsten Sinne des Wortes verschrieben hat. Auf einem Anwesen mitten im Nirgendwo, fernab vom Autoverkehr, von Trubel der Stadt, sozusagen am Ende der Welt.

Bernd Marcel Gonner hat das bewusst gewählt. Hier findet er den Grund, in dem seine Texte wurzeln. Einer davon ist 2021 ausgezeichnet worden. Auf der Suche nach dem idealen Ort sind sein Partner Gerhard und er auf Reinsbronn gestoßen. Der 207 Einwohner zählende Weiler liegt einsam im Tal der Steinach, einem Nebenfluss der Tauber. Seit 1972 ist er ein Stadtteil von Creglingen.

Mit 16 Jahren angefangen

Mit 16 Jahren habe er angefangen, zu schreiben, so Gonner. Ein Herbstgedicht sei es wohl gewesen. Seit 2009 arbeitet er schon als freier Schriftsteller. Aktuell habe er mehrere Baustellen. unter anderem seien ein Theaterstück, Kinderbücher, Hör-CDs und Krimis in Arbeit. Er müsse ja auch leben können. Oft fließe das schnell aus der Hand, so Gonner. Die Überarbeitung sei das, was manchmal Jahre dauere. Apropos Kinderbücher: Mit »Pirat oder Seeräuber sterben nie« ist Gonner ein faszinierendes Kinderbuch gelungen.

Es geht um die Freundschaft zwischen Paul und dem humpelnden Igel namens Pirat, auch um Natur und ums Sterben. Ein Igel ziert ebenfalls den autobiografischen Essay «Grasland« oder »Wie ich Schriftsteller wurde«. Er geht auf die Reise durch eine »schier endlose Grassteppe« in eine karstige Hochebene, auf der er »durchgeknallte und versprengte Aussteiger aus der Menschenwelt« trifft. Überhaupt beschäftigt sich Gonner auch in »Volk der Freien« oder »Oderberger« gerne mit »aus der Spur« Gelaufenen.

Sehnsucht verwirklicht

Und Nature Writing? Das scheint die Verwirklichung einer gewissen Sehnsucht zu sein. Die Initialzündung dazu habe er wohl schon in seiner Gymnasialzeit erfahren, in der AG Pflanzenbestimmung bei seinem Lehrer Dr. Kottke. Die dort benutzten Bestimmungsbücher hätten ihn fasziniert. Mit Mutter und Bruder habe er das Gelände erforscht, viel mit den Händen »herumgewurschtelt«, auch im Garten. Also schreibe er Sachbücher? Nein, sicher nicht. »Ich lese und erzähle das Gelände«, erklärt der 54-Jährige. So in »Wilde Saaten«, ein umfangreiches Werk, das für 2023 im Programm seines Verlages ist. Auf 350 Seiten findet sich eine Art Tagebuch, das er vom Sommer 2018 bis Winter 2019 geschrieben hat. Jetzt fehlten noch Bilder und Karten.

»Das Material sammelt sich wie Sediment in mir«, beschreibt er das. Der nun preisgekrönte Essay »Sediment und Sedum« sei quasi im Nachgang entstanden, sei aber eigentlich der Vorlauf dazu. Sein Verleger Joachim Schönauer habe ihn gut gefunden und hartnäckig eingereicht. Seine Zielgruppe seien Menschen mit Leseerfahrung, Interesse an Natur und Freude an Literatur.

Mehr wertgeschätzt

Neugier und Entdeckergeist wünscht er sich als Eigenschaften seiner Leser. »Sie werden die Magerwiesen und die Steinriegel mit anderen Augen sehen, werden sich mal bücken und ihre Wahrnehmung verändern«, schwebt Gonner vor. »Der Preis rückt mich in die Nähe von bekannten Autoren wie Ulrike Draesner«, freut sich Gonner. Er werde mehr wahrgenommen und wertgeschätzt. »Das Feld beginnt, sich langsam für mich zu öffnen.« Was für ein schönes Bild.
Gonner hat in verschiedenen Großstädten gelebt, war unterdessen aber regelmäßig im Sommer drei Wochen bei seiner Mutter in Lauda, seinem Geburtsort. Der Vorschlag, dort nach einem Haus zu schauen, kam von seinem Partner Gerhard.

Keine Autobahnen

Zuerst hatte man nach einer Lebensgemeinschaft mit einer Gruppe von Menschen mit ähnlichem Lebensmodell gesucht. Anzeigen wurden aufgegeben mit dezidierten Vorstellungen. Vor allem ein guter Schreibort, abgelegen, keine Autobahnen in der Nähe, mitten in der Natur und total ruhig sollte es sein. Und dann ein Angebot aus Reinsbronn. Ja, das war es. Das Haus passte, und schließlich zogen die beiden Lärmgeplagten von München aus dahin.

In München hatte der gebürtige Luxemburger Gonner, der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte sowie Deutschh als Fremdsprache studiert hat, von 1997 bis 2009 als Sprachdozent bei den Deutschkursen der Ludwig-Maximilians-Universität gearbeitet. Vorher war er drei Jahre an der Karls-Universität Prag tätig.

Zu krasser Ortswechsel

Zu krass war der Ortswechsel, sagen beide heute. Von München aus in ein Nichts. Noch war es ihnen zu ruhig, zu abgelegen, und so zogen sie 2011 für ein Jahr nach Berlin.

Die feste Stelle als Lehrer für besondere Aufgaben am Sprachenzentrum der FU Berlin habe er nicht ausschlagen können, so Bernd Marcel Gonner. Deutsch als fremde Wissenschaftssprache ist nach wie vor sein Arbeitsgebiet. Momentan arbeitet er noch selbstständig im Bereich Deutsch als Fremdsprache, unter anderem für die Zentrale des Goethe-Instituts München im Bereich Prüfungserstellung und -bewertung.

Berlin war dann doch zu laut, zu anstrengend. »Berlin hat uns schier um Verstand und Seele gebracht«, schreibt Gonner in seinem nun mit dem Deutschen Preis für Nature Writing ausgezeichneten Essay »Sediment und Sedum«, in dem er auch Hoffmann von Fallersleben zitiert: »Ich weiß nur eins, das mich erfreut, das Blümlein auf der Heide«.

Traum wird wahr

»Berlin entkommen, unterm Nussbaum sitzen« – der Traum erfüllte sich schließlich mit dem neuerlichen Umzug zurück nach Reinsbronn, wo das jetzige Haus bereits besichtigt, dann frei und verkäuflich war. Was für ein Glück. Alles passte.

»Die Arbeit in München läuft langsam aus«, sagt Gonner, der bekennt: »Ich möchte, dass die Literatur trägt.« Sie arbeiten beide als Landschaftspfleger, was etwas Geld einbringt. Gerhard hat eine Nebenerwerbslandwirtschaft angemeldet. Saisonal sei viel zu tun, ansonsten schreiben beide, wenn sie nicht im Gelände arbeiten.

Dazu Bernd Marcel Gonner in seinem preisgekrönten Essay tröstlich: »Zuletzt schäumt die Goldaster ihr Versprechen auf Reichtum und Entlohnung für die Plagen durchs Gelände.« Zum Seufzen schön.

PETRA FOLGER-SCHWAB

Hintergrund: Der Deutsche Preis für Nature Writing

Der Deutsche Preis für Nature Writing ist ein Literaturpreis für deutschsprachiges Nature Writing, also literarische Veröffentlichungen über Natur. Er wird seit 2017 jährlich vom Verlag Matthes & Seitz Berlin und dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) verliehen. Mit dem Deutschen Preis für Nature Writing zeichnen die Stifter Autoren aus, die sich in ihrem literarischen Werk auf Natur beziehen. Der Preis knüpft an die vor allem im angelsächsischen Raum ausgeprägte schriftstellerische Tradition des Nature Writing an. Die Autoren dieser literarischen Schule befassen sich mit der Wahrnehmung von Natur, mit dem praktischen Umgang mit dem Natürlichen, mit der Reflexion über das Verhältnis von Natur und Kultur und mit der Geschichte der menschlichen Naturaneignung.

Die Stifter beschreiben „Sediment und Sedum“ des diesjährigen Preisträgers Bernd Marcel Gonner als „einen sprachlich kunstvoll montierten Text über die körperliche wie mentale Einarbeitung in ein historisch, kulturell und ökologisch besonderes Gelände eines abgelegenen ländlichen Raums“.

Dazu Laudator Maximilian Probst von der ZEIT: „Bernd Marcel Gonner zu lesen ist ein Trip. Bei einem Trip weißt du nie genau, was dir am Ende blüht.“ Beim Lesen sei ihm die Erkenntnis zur Erfahrung geworden, dass „wir Menschen nicht allein sind im Netz des Lebens.“

Das 80-seitige Taschenbuch „Sediment und Sedum“ erscheint pünktlich zur diesjährigen Buchmesse an diesem Mittwoch, 20. Oktober.
Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Er ist verbunden mit einem sechswöchigen Schreibaufenthalt in Bad Heilbrunn, eine Stunde südlich von München gelegen. In diesem Jahr wird der Preis geteilt. Außer an Bernd Marcel Gonner geht er an die Lyrikerin Mara-Daria Cojocaru. (pefs)

Main-Echo vom 18.10.2021

Quelle: https://www.main-echo.de/region/kreis-main-tauber/ich-lese-und-erzaehle-das-gelaende-art-7399577

Fränkische Nachrichten Plus-Artikel „Nature Writing” – Bernd Marcel Gonner lässt in „Sediment und Sedum“ die Landschaft sprechen

Creglinger Autor lädt ein zum Trip ins Trockenbiotop

Es ist „Nature Writing“ vom Feinsten, was Bernd Marcel Gonner in „Sediment und Sedum“ im Kleinformat vorlegt. Ein Essay? Eine Arie!
Von Inge Braune

Da sitzt einer unterm Nussbaum, lauscht, schaut, schreibt. Manchmal sind’s zwei, die da sitzen. Atmen. Schwitzen. Pause zwischen Sense, Roden, Blasen schuften. Bernd Marcel Gonner – väterlicherseits Luxemburger, Böhme mütterlicherseits, aufgewachsen in Lauda, hat hier, am Rand des kleinen Creglinger Weilers Reinsbronn, eine alte Hofstelle erworben.

Unterfangen besonderer Art

Ein Unterfangen der besonderen Art: Alles andere als einfach. Steillage in der Klingenlandschaft, Steinriegel, jahrzehntelang kaum noch bis gar nicht bewirtschaftet, zu- und überwuchert. Hier will er sein. Bleiben. Pflanzen, Schreiben. Schlicht jeder Halbsatz, jedes Wort, ja, jedes Pünktchen, jedes Komma belegt: Das ist sein Land; seins, und eins, dem er gehört. Wer ist hier Chef – der Mensch, das Land? Es ist verzwickt, verquickt, verwoben. Manchmal verzweifeln sie aneinander, manchmal ist schieres Entzücken spürbar. Einseitig? Beidseits?
Es stimmt, was Zeit-Autor Maximilian Probst in seiner Laudatio zur Verleihung des Deutschen Preises für Nature Writing 2021 zu Gonners knapp 50-seitigem Essay „Sediment und Sedum“ sagte: Es sei „ein Trip“, und bei einem Trip wisse man nie genau, was einem am Ende blühe. Probst blühte: Dankbarkeit.

Nichts für Schnellleser

Den Essay-Text ergänzt der Ludwigsburger Killroy Media-Verlag mit der Jury-Begründung zur Preisverleihung, Gonners Dankesrede sowie einer zweiten, aus demselben Anlass entstandenen, jedoch ungehaltenen Rede, zusätzlich mit einem kurzen Jahreslauf-Abriss „im Kalk- und Kratzdistelgelände“. Alles zusammen sind es nicht einmal 70 Textseiten – ein schmales Bändchen, und dennoch garantiert nichts für Schnellleser.

Auf Gonners Sprachreichtum muss man sich einlassen, ebenso wie auf die zahlreichen Textpassagen zu Biologie und Geographie, Natur und Kultur, die Autoren im Lauf vieler Jahrzehnte, in einem Fall, bei Georg Ferdinand von Forstners „Phisikalisch-ökonomische(r) Beschreibung von Franken“ vor bereits gut 230 Jahren zu Papier brachten.
Da steuert Hans Scherzer mit seinen „Erd- und pflanzengeschichtlichen Wanderungen durchs Frankenland“ (1920) Passagen bei, da kommt Carlheinz Gräters „Fränkische Flora“ (1992) zu Wort, Gerd Gaisers „Ortskunde“ (1977), Rainer Wolfs „Das Taubertal zwischen Rothenburg o.d.T. und Bad Mergentheim, Natur, Landschaftsbild und Geschichte einer einmaligen Kulturlandschaft“ (2005). Diese und weitere hat Gonner so unauffällig und perfekt passend eingebaut, dass man als Lesender schon sehr genau hinschauen muss, um die zur Hervorhebung serifenlose Schreibweise nicht zu übersehen.

Gonner gestaltet einen teils feinst beschreibenden, manchmal in schnelles Stakkato wechselnden Gedankenfluss, der Lesende mitnimmt in Duft-, Farb- und Klangräume, der Schwielen, Schweiß und Schrunden spürbar macht und den überdornten Unrat aus Jahrzehnten nahezu zwischen den Fingern fühlen lässt. Lesend riecht man die Kräuter, spürt die Steinriegel, die die Erwachsenen in Gonners Kindheit „Steinrasseln“, die Kinder „Echsen“ nannten, unter den Fußsohlen, und man erfährt viel mehr als nur Namen, Standort und Bedarf der vielfältigen Pflanzenwelt, die auf dem kargen Boden – und genau nur da! – Gestalt annimmt.

Etwa das Wimper-Perlgras, „des Steinriegels mädchen-, ein wenig bubenhaft auch sich zierende, selbstgenügsame Zierde. Schüttel dein strohblondes Haar! Das schüttre Moos wärmt deine Füßchen. Die Flechten umgarnen dich.“

Kräuter, Blumen, Sträucher, Bäume: Weltbewohner sind sie, mit mindestens dem gleichen Recht zu sein wie wir, für Gonner Persönlichkeiten, die, auch wenn er sie charakterisiert wie Menschen doch nicht vermenscht werden. Eigenständiges Wesen bleibt selbst die Karthäusernelke mit ihren Blüten, „aufreizend geschminkt wie die Lippen einer Dirne, zwischen grellem Pink und uraltem, nimmer verwelkendem Kardinalsrot…“; trotz „Massenabordnung“ bleibt auch der „wie eine ausgeschickte Faschingsprinzengarde“ auf dem Steinriegelbuckel gefundene Rosslauch Individuum und autonom.

„Das Extreme treibt seine extravagantesten Blüten“, notiert er, und beschreibt den mit viel Mühe ermöglichten „Aufstieg zum Trockenrasen“ in acht Etappen.
Es ist „Nature Writing“vom Feinsten, was Gonner im Essay „Sediment und Sedum“ (Killroy Media, 80 Seiten Paperback, 19 Euro) hier im Kleinformat vorlegt. Und es ist ein Vorgeschmack auf sein großes Nature Writing-Werk „Wilde Saaten“, das im nächsten Jahr erscheinen wird. Man darf gespannt sein.

Inge Braune Freie Autorin Berichte, Features, Interviews und Reportagen u.a. aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung, Soziales, Portrait. Im Mittelpunkt: der Mensch.

Autor lädt ein zum Trip ins Trockenbiotop von Inge Braune

Frisch gedruckt

Sediment und Sedum. Ein Essay
von Bernd Marcel Gonner, Ludwigsburg, Killroy media Verlag, 2021, 80 S., 19 €

Kann deutschsprachige Literatur noch Landschaft, Natur und bäuerliches Leben besingen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, einer rückwärts gewandten Heimatideologie zu huldigen? Sie kann. Sie muss sogar, um diese aktuellen, hochpolitischen Themenkreise nicht den Ewiggestrigen zu überlassen.<(p>

Mit seinem schmalen, aber thematisch dichten Essay Sediment und Sedum, der 2021 mit dem Deutschen Preis für Nature Writing ausgezeichnet wurde, zeigt Bernd Marcel Gonner, wie es geht. Der in Deutschland lebende Luxemburger fügt sich mit seinem Werk in einen kleinen Kreis von deutschsprachigen Natur-Schreibenden ein, der Autorinnen wie u. a. Ulrike Draesner, Esther Kinsky, Judith Schalansky und Marion Poschmann umfasst. Inspiriert von der angelsächsischen Tradition des Nature Writing, die sich bis vor Henry David Thoreaus Aussteiger-Traktat Walden (1854) zurückführen lässt, entstauben sie das literarische Schreiben von der Natur, führen es weg vom bukolisch-regressiven Idyll und hin zum hochpolitischen Anthropozän-Diskurs: Klimawandel, Artensterben und Globalisierung bilden den thematischen Rahmen dieser neuen deutschsprachigen Natur-Literatur. Auch linguistisch vollzieht sich dieser Wandel, wenn der historisch politisierte Begriff der „Landschaft“ gegen das neutralere „Gelände“ ausgetauscht wird, so geschehen etwa in Esther Kinskys 2009 erschienenem „Geländeroman“ Hain. Auch Gonner beruft sich auf dieses geowissenschaftliche Schlagwort, um seinen Schreibprozess in Sediment und Sedum zu illustrieren: „Der Erzähler liest sein Gelände genau und poetisch, das Zusammenspiel von Terroir und Pflanzengestalten.“

Der kurze Text zeichnet eine Episode aus Gonners Leben nach: Zusammen mit seinem Lebensgefährten hat sich der Autor auf eine abgelegene Hofstelle am Rand des Oberen Taubertals in Baden-Württemberg zurückgezogen. In episodischen Notizen skizziert der Autor den Kauf des Grundstücks, die alltägliche Arbeit zur Erhaltung der Steppenheiden und Magerrasen sowie die Kultur- und Naturgeschichte der Region. Der Titel spielt hierbei auf den symbolischen Dualismus zwischen einem der Vergangenheit zugehörigem „Unten“, dem zu Sediment zerfallenen Muschelkalk des Ur-Meeres, und einem gegenwärtigen „Oben“ an das durch eine typische Pflanzenart der Region, dem Sedum, verbildlicht wird.

Das von Gonner mit geobotanischer Präzision beschriebene Gebiet ist keine unberührte Wildnis, sondern eine von Menschenhand geprägte Kulturlandschaft. „Ohne Sensen, Schafe oder Ziegen geht nichts in diesem Gelände – oder alles wieder verloren und unter, an gewonnenem Grasland wie blankem Steinrain“, erläutert der Erzähler. Leitbild der Erzählung sind die für die Region charakteristischen Steinriegel: Aufschichtungen von sogenannten „Lesesteinen“, also auf Äckern verstreute Stein-fragmente, die bei der Bodenbearbeitung stören und deshalb vom Bauer am Feldrand zu Wällen und Mauern gestapelt werden: „Steinrasseln, hieß es, hießen sie als Kind von Seiten der Erwachsenen. Echsen, sagten wir – und hatten gehörige Angst, jedenfalls Respekt vor den Ungetümen; welche uns in unserem Kinder-stand noch höher und mächtiger erschienen, als sie es messbar waren. Drei Meter hoch manche und an die zehn Meter breit. Man muss kraxeln.“ Die über Jahrhunderte von Menschenhand aufgeschichteten Kalksteine werden heute als Naturdenkmale und Biotope angesehen, da sie neuen Lebensraum für zahlreiche Pflanzen und Tierarten bieten.

Dieser kurze Einblick in den Text greift jedoch zu kurz und verkennt Gonners eigentliches Anliegen, das ihn mit seinen Vorgängern im Nature Writing-Genre verbindet: Wie können sowohl geistige wie auch körperliche Naturerfahrungen mit literatur-ästhetischen Mitteln greifbar gemacht werden? Gonners Antworten auf diese Frage geben dem Text seine experimentelle Form. Sediment und Sedum ist weder autobiografischer Bericht noch Essay, wie der Untertitel glauben lässt, sondern ein hochstilisiertes Textmosaik, das unterschiedlichste Gattungen und Stile zu einem gewollt heterogenen Ganzen verbindet. Gonners eigenes Schreiben ist ein Schreiben der Extreme und Gegensätze, mal karg und lakonisch, mal poetisch, mal grotesk und überbordend. Zu dieser oktavenreichen Stimme gesellen sich rasch weitere Perspektiven hinzu, insbesondere jene des Geologen und Botanikers Hans Scherzer (1889-1943), dessen heimatkundliche und literarische Schriften fragmentarisch in den Text montiert wurden – neben eingestreuten Zitaten von u. a. Andreas Gryphius, August von Platen und Joseph von Eichendorff. So entsteht ein spannungsreicher literarischer Dialog des Autors mit seinen Vor-gängern, der sowohl thematische Kontinuitäten als auch Scheidewege herauskristallisiert. Insofern kann Sediment und Sedum nicht nur als autobiografischer Bericht über ein Leben in und mit der Natur gelesen werden, sondern als pointierte Reflexion über den Zwiespalt, mit dem die deutschsprachige Literatur der (deutschen) Landschaft begegnet.

Buchkritik Yorick Schmit / Forum Nr. 426 | Seite 69